Was bleibt. Ein Film mit Corinna Harfouch von Hans-Christian Schmid. Kinostart 6. September 2012 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 03.09.2012


Was bleibt. Ein Film mit Corinna Harfouch von Hans-Christian Schmid. Kinostart 6. September 2012
Susanne Schwarz

"Ausschlafen, futtern, gut ist`s" – Marko und sein Sohn Zowie besuchen die Familie. Und müssen erfahren, "was bleibt" nach den vielen Jahren mit Depression, eisigem Schweigen und Lügen.




Home, sweet Home

Familie kann mensch sich nicht aussuchen – auch nicht Marko Heidtmann (Lars Eidinger). Mehr aus Pflichtgefühl folgt er der Einladung seiner Mutter Gitte (Corinna Harfouch) nach Hause: Aus dem kreativen Schriftsteller-Leben in Berlin heraus, mitten rein ins gutbürgerliche Elternhaus irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Wie sich herausstellt, hat Gitte nicht grundlos auf einem Besuch bestanden. Vor versammelter Familie verkündet sie in sommerlich heiterer Grillfeststimmung, ihre seit 30 Jahren verschriebenen Antidepressiva eigenständig abgesetzt zu haben.

Aus dem Labyrinth

Zwischen dem teuersten Mobiliar, den großflächigen Fensterflächen, einem penibel angelegten Garten und schweren Bücherwänden – wie es sich für einen Verleger wie Vater Günter (Ernst Stötzner) gehört – schleicht die Familie in einem Käfig umher. Die ZuschauerInnen beobachten die Charaktere wie die Ratten eines Laborexperiments in ihrem Terrarium, die versuchen müssen, den Ausgang aus einem aufgebauten Labyrinth zu finden. Nur besteht der Irrgarten der Heidtmanns nicht aus räumlichen Begrenzungen.
Gitte zwingt ihre Angehörigen durch ihre Verkündung, sich aus jahrelangen Verstrickungen in Lügen oder Schweigen und aus künstlichem Vergnügen zu befreien. Markos Bruder Jakob (Sebastian Zimmler) und Günter tun sich schwer darin. Die beiden haben längst resigniert und sich mit Gittes Krankheit abgefunden. Der Familienvater holt sich die Nähe, die er von der depressiven Gitte nicht zu bekommen vermag, seit Jahren heimlich bei Susanne Graefe (Birge Schade), der Buchhändlerin aus der Stadt.

Marko nimmt Gittes Anliegen, sie wie einen Menschen zu behandeln, der mehr Facetten hat, als nur die einer Krankheit, als einziger in Angriff. Er weiht sie in die letzten – ihr bisher verschwiegenen – Rückschläge für die Familie ein: das finanzielle Scheitern von Jakobs Zahnarztpraxis und seine eigene Trennung von Tine (Eva Meckbach), der Mutter seines kleinen Sohnes Zowie (Egon Mertes). Jakob und Günter erleben das als Verrat an den "wohlerprobten" familiären Verhaltensweisen.

Gitte, vom begrenzten Entgegenkommen der Familie enttäuscht, verschwindet am nächsten Morgen. Der Rest des Mikrokosmos' fährt mit Günters schwerem Wagen durch die Berglandschaft und findet an einem Waldrand das kleine Auto der Mutter. Die Polizei wird informiert, Suchtrupps werden losgeschickt.
Schnitt.

Winter Wonder Land

Winterimpressionen im Terrarium: Marko ist mit Zowie wieder im Elternhaus, auch Tine ist anwesend – offenbar hat sich die junge Kleinfamilie zusammengerauft. Günter sitzt auf gepackten Koffern, immerhin wird er morgen mit Susanne zusammen zu einer Recherchereise aufbrechen. Auch Marko, Tine und Zowie tragen Taschen in den Flur. Ob er sie zum Bahnhof fahren solle, fragt Günter noch. Marko und Tine entscheiden sich aber doch für den Bus. Es geht zurück nach Berlin.

Vermitteln ohne Zeigefinger

Was bleibt macht sich nicht zur Aufgabe, den Leidensweg einer Depressiven zu zeigen – unter welcher Krankheit Gitte leidet, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Es geht um die Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen, die sowohl als Eltern, als auch als Kinder fungieren. Es geht um die als Pflicht wahrgenommene Konvention, dass Familie als ein funktionierender Ort der Geborgenheit zu fungieren hat, auch wenn das eigentlich nicht (mehr) der Fall ist. Auch die abhängige Stellung einer Hausfrau ohne ernstzunehmende Alternativen wird aufgegriffen.

Regisseur und Produzent Hans-Christian Schmid gelingt es, eine sehr persönliche Sicht auf die Charaktere zu werfen. In der Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Bernd Lange wurde ein Werk geschaffen, das nicht mit erhobenem Zeigefinger die richtige Verhaltensweise erläutern will, sondern wertfrei für sich steht.

Getragen wird der Charakterfilm von einem beeindruckenden Stab an SchauspielerInnen. Lars Eidinger scheint wie für die Rolle des Marko geschaffen. Zunächst etwas verkrampft und gegen Ende immer freier stellt er perfekt die Wandlung seines Charakters dar. In der Rolle der Gitte glänzt Corinna Harfouch. Ihr zurückhaltendes Spiel stellt Gitte zwischen ihren "Familienmitgliedern", die mehr oder weniger mitten im Leben stehen, in den Vordergrund, ohne unterzugehen oder aber Gitte mehr Kraft zu geben, als sie zur Verfügung hat. Auch die anderen Rollen sind authentisch mit einer Mischung aus erfahrenen SchauspielerInnen und KinodebütantInnen besetzt. Das Team wird durch eine angenehm schlicht gehaltene Kameraführung unterstützt, die eher auf die Ausdruckskraft der Charaktere als auf imposante Aufnahmen setzt.

Zur Hauptdarstellerin: Corinna Harfouch wurde 1954 in Suhl geboren und studierte Schauspiel an der Hochschule Ernst Busch in Berlin. Ihre Theaterkarriere startete sie mit Faust II in Chemnitz, Engagements der Berliner Volksbühne, des Berliner Ensembles, des Deutschen Theaters und der Schaubühne am Lehniner Platz folgten. Die vielseitige Schauspielerin wirkte darüberhinaus bei diversen Fernsehproduktionen und Kinofilmen mit. Für ihr Schaffen hat Harfouch bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten, unter anderem die Berlinale Kamera, die Goldene Kamera, den Deutschen Kritikerpreis und den QueerLisboa-Preis als beste Hauptdarstellerin.

Zum Regisseur: Hans-Christian Schmid wurde 1965 in Altötting geboren. Er studierte Doumentarfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film und Drehbuch an der University of Southern California. Er arbeitet seitdem an Dokumentar- (Sekt oder Selters, Die Mechanik des Wunders) und Spielfilmen (Crazy, Sturm) als Regisseur und Drehbuchautor. Schmids Schaffen wurde vielfach mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. Was bleibt wurde bereits auf der 62. Berlinale im Februar 2012 vorgeführt.

AVIVA-Tipp: Was bleibt zeichnet das verstörende Bild einer Familie, die sich längst weniger zu sagen, hat als sie vorgibt. Die Depression der Mutter dient dabei als Vorwand, das Schweigen aufrecht zu erhalten. Der Film gibt genauso viel vor, wie nötig ist, um sein Thema zum Ausdruck zu bringen, aber nicht genug, um belehrend zu sein. Fabelhafte DarstellerInnen und authentische Dialoge machen Was bleibt zu einem Film, den mensch nicht verpassen sollte.

Was bleibt
Deutschland 2012
Regie: Hans-Christian Schmid
Drehbuch: Bernd Lange
DarstellerInnen: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Sebastian Zimmler, Ernst Stötzner, Picco von Grooten, Egon Merten, Birge Schade, Eva Meckbach
Verleih: Pandora Film Verleih
Lauflänge: 85 Minuten
Kinostart: 6. September 2012
www.pandorafilm.de

Was bleibt ist eine Koproduktion mit SWR, ARTE und WDR. Die Produktion wurde gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW, Medienboard Berlin-Brandenburg, Filmförderungsanstalt FFA, DFFF und BKM.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern mit Corinna Harfouch von Dagmar Knöpfel

Der Untergang mit Corinna Harfouch von Oliver Hirschbiegel

Bibi Blocksberg mit Corinna Harfouch von Hermine Huntgeburth

Alle anderen mit Lars Eidinger von Maren Ade

Simon von Lisa Ohlen

62. Berlinale vom 9. bis zum 19. Februar 2012, TEDDY AWARDs am 17. Februar 2012


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Beitrag vom 03.09.2012

AVIVA-Redaktion